Weiterbildung – eine Voraussetzung für ein gelingendes Leben

Beginnen möchte ich mit einem ernüchternden Zitat: „Das Interesse an Nachrichten ist in Deutschland deutlich gesunken; nur noch 57 Prozent der erwachsenen Internetnutzenden interessieren sich für Informationen über das aktuelle Geschehen. Das sind zehn Prozentpunkte weniger als im Vorjahr. Am deutlichsten ist der Rückgang in der Gruppe der 18- bis 24-Jährigen, in der sich nur 31 Prozent für Nachrichten interessieren, was einem Minus von 19 Prozentpunkten entspricht. Gleichzeitig steigt der Anteil derjenigen, die zumindest gelegentlich versuchen, den Nachrichten aus dem Weg zu gehen, auf 65 Prozent.“ So hält es das Hans-Bredow-Institut (Leibniz-Institut für Medienforschung) in seiner neuesten Untersuchung als Forschungsergebnis fest.1

Hat die politische Bildung, hat die Erwachsenenbildung in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung versagt – oder ist dieser Befund eine aktuell umso größere Herausforderung? Angesichts dieser Daten wird eines sehr deutlich: Politische Bildung ist m. E. not-wendig – Weiterbildung ist not-wendig. Lebenslanges Lernen und fortdauernde Weiterbildung sind – und das ist ein Appell seit Jahren – wichtiger denn je. Wir erfahren in einer global vernetzten und sich rasch verändernden Welt, wie menschengemachte Krisen unsere Zuversicht und unser Vertrauen in den gesellschaftlichen Zusammenhalt erschüttern. Viele sprechen bereits von einer Multikrise. Der oder die Einzelne fühlt sich hilflos. Für die gegenwärtigen und künftigen komplexen Herausforderungen gibt es jedoch keine einfachen Lösungen. Passgenaue, zukunftsweisende Antworten zu finden, ist das Gebot der Stunde. Hochwertige, unideologische und einladende Bildungsangebote sind niemals so notwendig wie in Krisenzeiten.

Das Hessische Weiterbildungsgesetz (HWBG) zielt darauf ab, öffentlich verantwortete Weiterbildung als Teilbereich des lebensbegleitenden Lernens gesellschaftlich zu sichern und zu verankern. Das bedeutet, Weiterbildung in einem Zusammenspiel von Land, Kommunen und gesellschaftlichen Großgruppen (freien Trägern) zu ermöglichen und somit eine erprobte und qualitativ hochwertige Angebotsstruktur für breite Bevölkerungsschichten vorzuhalten.

Mit dem nun vorliegenden vierten Hessischen „Weiterbildungsbericht 2021“ liegen erneut verlässliche und seriöse Daten für eine zukunftsweisende Weiterbildungs- und Bildungspolitik vor. So geben die Ergebnisse des neuesten Berichts sowie aus den vorherigen Berichten den Weiterbildungsträgern regelmäßig wichtige Anregungen bei internen Planungen von qualitätsorientierten Veranstaltungsangeboten. In den unterschiedlichen Kapiteln des Weiterbildungsberichtes wurden die Möglichkeiten bildungsbezogener Teilhabe von Erwachsenen in den Blick genommen – Stichwort Weiterbildungsbeteiligung – und in einzelnen Analysen gewürdigt. Durchgängig klingt in dem Bericht eine große Wertschätzung der Arbeit der freien und öffentlichen Träger der Weiterbildung in Hessen an.

Ein Grundsatz des HWBG wird besonders hervorgehoben, nämlich „dass gerade Angebote für benachteiligte Gruppen (Personen mit geringer Grundbildung, geringer Medienkompetenz, geringer politischer Bildung und wenig Wissen über Nachhaltigkeitsthemen) in diesen Themenfeldern sich nicht über Teilnehmendenbeiträge finanzieren können, sondern in erheblichem Umfang auf öffentliche Gelder angewiesen sind und sein werden“ (LAKU 2022, S. 116). Diese finanzielle Grundlage muss neu ausgelotet werden. Dies gilt vor allem, da eine Novellierung des HWBG in kommender Zeit ansteht. Durch die Weiterbildungspakte I und II wurden Kürzungen der vergangenen Jahre im Bereich der Weiterbildung zwar nur teilweise kompensiert. Die beiden Pakte haben jedoch für die Träger der Weiterbildung vor allem in der ersten Säule – der Erhöhung der Stundenvergütung – eine enorme Bedeutung. Jedoch bleibt ein immerwährendes Defizit, solange nicht ein Inflationsausgleich eingerechnet wird.

Aktuell – obwohl ursprünglich und im Auftrag des Berichtes nicht vorgesehen bzw. vorhersehbar – sind die Aussagen zu Entwicklungen während der Pandemie. Diese haben alle Weiterbildungsträger vor enorme Herausforderungen gestellt, auf die sie kaum ausgerichtet waren. Es zeichnet sich ein grundlegender Wandel der Bildungslandschaft ab, der in seinen weiteren Dimensionen noch nicht absehbar ist. Im Grunde war die Pandemie ein Beschleuniger von Entwicklungen, die vorher schon erkennbar waren, die aber auf die lange Bank geschoben wurden. Und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Zwar gibt es einen vehementen Wunsch zur Rückkehr zu Präsenzformen der Bildung, die digitale Bildung ist jedoch nicht mehr wegzudenken. Es gilt, sie intelligent zu integrieren. Das ist eine Herausforderung für die nächsten Jahre, die das Bildungssystem auch der Weiterbildung grundsätzlich verändern wird. Notwendig ist eine Weiterentwicklung der technischen, organisatorischen und weiteren Ressourcen und hier vor allem die Gewinnung und Qualifizierung von pädagogischem Personal mit didaktischen Onlinekenntnissen. Es geht um die (Weiter-)Entwicklung einer „Onlinedidaktik“ und die Integration in bisher gültige und passende Konzepte. Alle Bildungsträger haben in diesem Digitalisierungsschub gelernt, sich entwickelt und auch sich selbst weitergebildet. Videokonferenzen und Onlineveranstaltungen unterschiedlichster Art gehören mittlerweile auch zum pädagogischen Alltag. Neue (alte) Tools fanden neue Größe wie z. B. moodle, Lernplattformen oder MOOCs (massive open online courses). Ganz wesentlich ist die Schulung von Kursleitenden, Dozierenden, Referentinnen und Referenten und auch Ehrenamtlichen an einer „Onlinedidaktik“ und an pädagogischen Konzepten.

Indes: Immer deutlicher wird die Gefahr einer digitalen Spaltung der Gesellschaft gesehen. Es gibt sie, die „Onlineverlierer“, die auch im Weiterbildungsbericht benannt werden. Verschärft sich durch den gesellschaftlichen Digitalisierungsschub hier nicht auch noch der gap zwischen Stadt und Region? Wird „das Land“ hier nicht in vielfältiger Weise noch weiter „abgehängt“? Wo bleibt die Erwachsenenbildung/Weiterbildung vor Ort, wenn der letzte Lebensmittelladen, die Post, die Kirchen, die Sparkasse und schlussendlich die letzte Kneipe zumachen? Durch reine Onlineangebote, so notwendig diese mittlerweile sind, lässt sich eine bürgernahe Erwachsenenbildung ergänzen, aber nicht ersetzen. Bildung vor Ort ist ein weiterhin wichtiges – vielleicht bei den nun anstehenden weiteren gesellschaftlichen Herausforderungen noch wichtiger werdendes – Axiom. Deutlich macht der Bericht die regionalen Disparitäten zwischen ländlicher und städtischer Weiterbildung. Auch die Beteiligung an Weiterbildung ist hier sehr ungleich verteilt, was „enorme verteilungsbezogene Anforderungen vor allem an die öffentlich verantwortete Weiterbildung stellt.“ (Ebd., S. 13)

Bei der nun anstehenden Novellierung des HWBG müssen die Erkenntnisse des Weiterbildungsberichtes, aber auch die konkreten Erfahrungen der Pandemie, die nicht Gegenstand des Weiterbildungsberichtes waren, einfließen. Aus meiner Sicht sind hierbei drei Erfordernisse einzubringen:

  • Das System der Unterrichtsstunden als Kriterium muss überdacht und verändert werden. Gerade die sehr positiven Erfahrungen mit digitalen Erwachsenenbildungsangeboten, die alle Träger vor sehr große Herausforderungen stellte, zeigt dies deutlich. Viele Angebote im digitalen Bereich lassen sich nicht oder nur sehr unzureichend mittels des Kriteriums „Unterrichtsstunden“ quantifizieren. Onlineveranstaltungen sind vermehrt Einzelveranstaltungen, die andere, höhere Kosten und Aufwendungen verursachen als Kurssysteme. Hierzu ist im Weiterbildungsbericht ergänzend zu lesen: „Die Förderung von Teilnehmendenstunden vergrößert dieses Ungleichgewicht zusätzlich, weil kleine ländliche Einrichtungen in der Regel kleinere Kursgruppen und weniger Teilnehmende bei anteilig höheren Fixkosten haben. Unter diesen Vorzeichen ist zu befürchten, dass sich das ohnehin deutlich hinter den Ballungszentren zurückbleibende Weiterbildungsangebot in ländlichen Räumen ohne zusätzliche Fördermittel weiter reduzieren wird.“ (Ebd., S. 113)
  • Die Projektarbeit aller Träger ist inzwischen eine feste zweite Säule der Finanzierung von Bildungsveranstaltungen – hier haben alle Träger auch durch die Weiterbildungspakte sehr innovative und wegweisende Projekte aufgestellt. Sehr positiv wurde von allen Trägern konstatiert, dass bei den Pakten mehrjährige Projekte gefördert werden können. Dies gilt es beizubehalten. Der Weiterbildungsbericht hält jedoch auch fest: „Es ist erkennbar, dass sich Projektmanagement und Projektabwicklung umfassend professionalisiert haben und damit eine Empfehlung des Weiterbildungsberichts 2015 erfolgreich umgesetzt wurde. Allerdings scheint die Sicherstellung der erworbenen Expertise aus den Projekten für die Organisation nicht gewährleistet.“ (Ebd., S. 115) Ein Auseinanderdriften von Projektkonzeption und den hierfür qualifizierten Mitarbeitenden und dem „Grundgeschäft“ der Erwachsenenbildung darf nicht erfolgen.
  • Eine dritte Säule ist aus meiner Sicht unerlässlich: Damit Träger der Weiterbildung fähig sind, Projekte zu entwickeln und zu erarbeiten, ist eine Grundsicherung der Träger hierfür unumgänglich. Es muss möglich sein, dass Projektideen, die aufwendig konzipiert wurden, kurzfristig hinfällig werden und dennoch finanziell in der Entwicklung gesichert sind. Das finanzielle Risiko kann den Trägern nicht überlassen werden. In welcher Form dies geschehen kann, ist in den Diskussionen um die Novellierung zu entwickeln. Die Finanzierung aller Träger der Weiterbildung muss zukunftssicher aufgestellt werden.

Angesichts der o. g. Multikrise der Gesellschaft sehe ich die folgenden Punkte als kommende Herausforderungen:

  • Der Fachkräftemangel zeichnet sich jetzt schon in Bezug nicht nur auf das hauptamtliche Personal aller Weiterbildungsträger, sondern auch auf die Dozierenden sowie Referentinnen und Referenten ab.
  • Die Energiekrise mit den noch nicht erkennbaren grundsätzlichen Folgen wird große Auswirkungen auf die Kursgebühren und das Teilnahmeverhalten haben. Dies hat enorme Auswirkungen auf das gemeinsame Ziel der erhöhten Weiterbildungsbeteiligung. Aus dem Weiterbildungsbericht 2021: „Förderinstrumente und vor allem das Fördervolumen gilt es […] so zu gestalten, dass ein flächendeckendes Angebot an Bildungsmöglichkeiten für alle zur Verfügung steht und finanzierbar ist, dass gesellschaftliche relevante Themen nicht auf das finanzielle Engagement der Lernwilligen angewiesen und dass Weiterbildungseinrichtungen in der Lage sind, auch entwicklungskostenintensive Projekte voranzutreiben, wenn diese einen signifikanten gesellschaftlichen Beitrag erwarten lassen.“ (Ebd., S. 112)

Der Weiterbildungsbereich ist, so dokumentieren alle Weiterbildungsberichte, strukturell unterfinanziert, und es wird in kommender Zeit weiterer Anstrengungen bedürfen, um die soliden Weiterbildungsstrukturen in Hessen dauerhaft zu sichern. Die Einrichtungen benötigen eine erhebliche, kontinuierliche und nachhaltige Erhöhung der Landesmittel, um ihre Bildungsaufgaben erfüllen und angemessene Beschäftigungsbedingungen sichern zu können. Weiterbildung ist eine Voraussetzung für ein gelingendes Leben. Wer lernt, selbstständig und eigenverantwortlich zu handeln, wird Initiative ergreifen, wird an Herausforderungen wachsen und Veränderungen tatkräftig betreiben.

Literatur

LAKU – Landeskuratorium für Weiterbildung und lebensbegleitendes Lernen, in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Kultusministerium. (2022). Weiterbildungsbericht Hessen 2021. Wiesbaden. https://kultusministerium.hessen.de/infomaterial/weiterbildungsbericht-hessen-2021

Autor

Johannes Oberbandscheid, Vorsitzender der Katholischen Erwachsenenbildung in Hessen (KEB Hessen) und Vorsitzender des Landeskuratoriums für Weiterbildung und lebensbegleitendendes Lernen.

Review

Dieser Beitrag wurde nach der qualitativen Prüfung durch die Redaktionskonferenz am 10.11.2022 zur Veröffentlichung angenommen.

This article was accepted for publication following the editorial meeting on the 10th of November 2022.